Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe es wirklich gespürt: den Druck, einem vorgefertigten sexuellen Skript gerecht werden zu müssen. In den ersten Jahren meines Sexlebens verbrachte ich damit, die richtigen Geräusche zu machen, auf die richtige Weise auszusehen und immer meinen männlichen Partner zu befriedigen. Tatsächlich blieb dabei nicht viel Platz für mein eigenes Vergnügen. Während alle um mich herum angeblich zu Hause lagen und mehrmals hintereinander mit ihren Partnern zum Orgasmus kamen, warum konnte ich dann nicht einmal eine winzige, kühle Version eines Orgasmus erreichen? Ich fühlte mich beschämt und falsch. Es dauerte viele Jahre und viele Gespräche mit mir selbst und anderen, bis ich herausfand, dass es nicht an mir lag, sondern vielmehr an der Art und Weise, wie ich gelernt hatte, wie Sex aussehen sollte. In der Sexualerziehung, die ich erhalten habe, wurde Sex auf eine Frage der Fortpflanzung reduziert und auf eine einzige Übung reduziert, bei der ein Kondom auf einen Plastikpenis gezogen wird. In den Filmen, die ich gesehen habe, haben heterosexuelle Paare sich auf das Bett gelegt und in lustvollen Stöhnen geknallt, bis die Handlung endet, indem die männliche und weibliche Hauptrolle genau zur gleichen Zeit während der Penetration einen Orgasmus erreichen. Und in meinen Begegnungen mit Mainstream-Pornografie erlebe ich Sex als eine editierte Realität, in der der Fokus auf der nachgebenden Frau liegt, die nur da ist, um dem Mann Freude zu bereiten. Und wo niemand jemals den anderen anleiten muss, um eine Pause bittet oder die Handlung beendet. Mein Verständnis von Sex war und ist immer noch in all dem Sex verwirrt, den ich in meinem Leben präsentiert bekommen habe. Sex, der nur auf eine Weise aussieht: Penetrationssex. Penis in der Vagina. Studien zeigen, dass Frauen in heterosexuellen Beziehungen viel weniger Orgasmen als ihre Partner bekommen. Und sie zeigen auch, dass es in queer Beziehungen nicht die gleiche Ungleichheit gibt. In der jüngsten Umfrage des Venus-Clubs mit über 2000 Teilnehmern gaben 78% (!) der Frauen, die mit Personen mit Penis Sex haben, an, dass sie beim Sex alleine häufiger einen Orgasmus erreichen als beim Sex mit einem Partner. Ein Viertel der Frauen gibt an, dass sie ihre eigene Freude selten oder nie genauso hoch wie die ihrer Partner priorisieren. Das sind wirklich traurige Zahlen. Ich fand später heraus, dass ich sehr wohl einen Orgasmus haben konnte, wenn ich mit einem Partner zusammen war. Es brauchte nur etwas anderes als reine Penetration. Zum Beispiel Sexspielzeug, das mir mehr über meinen Körper und mein Vergnügen beibrachte, den Mut, meinen Partner zu führen, Zeit und Neugierde, Spaß daran zu haben, meinen eigenen und die Körper meiner Partner zu erforschen.
All diese Dinge haben dazu beigetragen, mein Verständnis von Sex zu verändern.
Viele von uns sind durchdrungen von geschlechtsspezifischen Stereotypen und schädlichen Vorstellungen und Erwartungen. Erwartungen an uns selbst und an unsere Sexpartner, die uns daran hindern, Sex auf Weisen zu erforschen und zu erleben, die uns sonst vielleicht Freude bereiten würden.
Es ist ein großer Verlust unserer Freiheit, unsere Sexualität zu erforschen und sie so zu leben, wie wir es möchten, wenn wir blind den sehr "veralteten" heteronormativen Gesellschaftsnormen folgen.
Wenn wir uns nicht trauen, das Bild, das wir von Sex haben, herauszufordern, tragen wir dazu bei, eine Normalität aufrechtzuerhalten, die in Wirklichkeit nur das Sexleben weniger Menschen widerspiegelt. Eine Normalität, die Menschen, die sich in dieser Darstellung von Sex nicht wiederfinden können, mit Scham und dem Gefühl, falsch zu sein, zurücklässt.
Selbst musste ich meine eigenen Bedürfnisse und Lustfragmente vom Boden aufsammeln und meine Vorstellung von Sex umgestalten. Ich musste mit mir selbst und meinem Partner in einen Dialog treten.
Ich glaube, dass das Gespräch, das wir darüber führen, was Sex sein kann und wie unterschiedlich wir ihn leben können, eines der besten Werkzeuge ist, das wir haben, um die erlernten Vorstellungen über Sex abzubauen, die uns und unser Sexleben schädigen.
Liebe Leserinnen und Leser, ich möchte Sie ermutigen, sich Zeit zu nehmen, um darüber nachzudenken, woher Ihre Definition von Sex stammt. Das erste Gespräch, das geführt werden muss, ist das mit sich selbst.
